“Was wir können, können wir sehr gut” : Interview mit Jonathan Bloh und Mathias Galetz

2021-08-12 |

Das DECHEMA-Forschungsinstitut hat sich zum 1. Juni 2021 neu aufgestellt und fokussiert auch inhaltlich noch stärker auf Nachhaltigkeit. Was ist der Treiber für diese Neuausrichtung?

PD Dr. Jonathan Bloh: Die Ausrichtung auf Nachhaltigkeit ist für das DFI nicht neu – das war schon vorher stark im Fokus. Zukünftig richten wir aber einen noch größeren Anteil unserer Aktivitäten auf die Energie- und Rohstoffwende als die beiden großen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Herausforderungen in den nächsten Jahrzehnten.

PD Dr.-Ing. Mathias Galetz: Mit unseren Kompetenzen, die wir über Jahrzehnte aufgebaut haben, können wir sehr viel beitragen. Wir arbeiten interdisziplinär eng an den Schnittstellen von chemischer Technik und Werkstoffen. was für die Energie- und Rohstoffwende eine große Rolle spielt. Unser Know-How lässt sich hier extrem gut einsetzen kann. Insofern hätten wir wahrscheinlich auch an diesen Themen gearbeitet, wenn sie nicht zum Megatrend geworden wären.

Das DECHEMA-Forschungsinstitut stand in der Vergangenheit vor allem für Hochtemperaturwerkstoffe und Korrosionsforschung. Aber auch die Elektrochemie wurde immer gepflegt, auch in Zeiten, als sie an anderen Forschungseinrichtungen und Universitäten ins Hintertreffen geraten war. Welche Rolle spielen diese Themen für die Energie- und Rohstoffwende?

Galetz: Viele Anlagen, die über Jahre betrieben wurden und noch werden, sind auf fossile Energieträger ausgerichtet. Hier stellt sich die Frage, inwieweit man beispielsweise Methan durch Wasserstoff ersetzen kann. Das hat ja weitreichende Konsequenzen: Wenn statt CO2 Wasser entsteht, muss man mit diesen Wasserfrachten umgehen, und auch die Werkstoffe müssen darauf ausgelegt sein. Das kann durch Beschichtungen erreicht werden, durch den Austausch von Komponenten oder neue Fertigungsverfahren wie Additive Manufacturing.

Bloh: Neben der Umrüstung der bestehenden Anlagen müssen aber auch komplett neue Anlagen aufgebaut werden. Dafür müssen alte Prozesse neu gedacht oder ganz neue Verfahren entwickelt werden. Das geht mit dem Einsatz neuer Reagenzien einher, aber auch mit anderen Prozessbedingungen, z.B. hinsichtlich der Atmosphärenzusammensetzung. Daraus ergeben sich ganz neue Werkstofffragen.

An diesem kurzen Überblick sehen Sie schon, wie wichtig die interdisziplinäre Zusammenarbeit ist, denn Chemie-, Prozess- und Werkstofffragen müssen gemeinsam betrachtet werden.

Müssen Sie dafür ganz neue Forschungsfelder entwickeln, oder lassen sich die Erkenntnisse aus anderen Bereichen 1:1 in die neuen Anwendungen übertragen?

Galetz: Beides. Forschung entwickelt sich ohnehin ständig weiter – Stillstand wäre tödlich. Oft merkt man den Übergang gar nicht, weil er fließend ist; von Projekt zu Projekt ergeben sich neue Fragestellungen, die mit aufgegriffen werden.

Als großer Block neu dazugekommen ist die Wasserstoffforschung. Dort haben wir bisher schon punktuell gearbeitet, aber eher in kleinerem Umfang. Aktuell wächst z.B. der Bereich Elektrolyseure von der Betrachtung einzelner Werkstoffe bis zur Entwicklung ganzer Komponenten sehr stark.

Bloh: Auch unser jahrzehntelanges Know-How in der Elektrochemie erlangt jetzt wieder neue Bedeutung. Wir sind keine Neueinsteiger, sondern haben uns immer damit beschäftigt. Das kommt uns jetzt zugute, denn wir können auf dem fundierten Wissen aufbauen und es im Kontext der Energiewende einsetzen. Diese vorhandenen Kompetenzen ergänzen wir jetzt systematisch, so dass wir im Bereich Wasserstoff ein umfangreiches Angebot machen können.

Besonders viele Veränderungen gibt es im Bereich Chemische Technik. Welche Rolle werden zukünftig Themen wie Wasseraufbereitung spielen, die bisher ja auch sehr wichtig war.

Bloh: Wasseraufbereitung wird auch zukünftig im Kontext der Rohstoffwende eine große Rolle spielen. Ziel der Rohstoffwende ist eine Kreislaufwirtschaft, in der wir keine neuen Rohstoffe mehr brauchen, sondern das, was da ist, immer wieder verwerten. Das gilt auch für Wasser. Die Industrie arbeitet intensiv daran, Abwasser zu minimieren oder wieder zu nutzbaren Wasserressourcen umzuwandeln. Außerdem brauchen wir für die Wasserstoffwirtschaft auch Wasser – das wird gerne vergessen. Man braucht zu jedem Zeitpunkt Wasser von ausreichender Qualität, um Wasserstoff herzustellen. Das ist zum Beispiel bei Anwendungen auf hoher See oder in der Wüste nicht gegeben.

Selbst im Industrieland Deutschland kann man nicht an jedem Standort beliebig große Mengen an sauberem Wasser bereitstellen. Das heißt, ein Elektrolyseur im Gigawatt-Maßstab muss auch eine entsprechende Wasseraufbereitung berücksichtigen. Hier wird die elektrochemisch betriebene Abwasserreinigung, an der wir arbeiten, auch zukünftig sehr wichtig sein.

Wo liegen Ihre Schwerpunkte im Bereich der Rohstoffwende?

Bloh: Im Moment gibt es viele Parallelen zwischen Rohstoff- und Energiewende, gerade im Bereich Wasserstoff, der ja in beiden Konzepten eine herausragende Rolle spielt – zum einen als Energieträger, zum anderen aber auch, um in chemischen Prozessen fossile Kohlenstoffträger durch die Umsetzung von Wasserstoff und CO2 zu ersetzen.

Neben Wasserstoff ist auch zum Beispiel die Rückgewinnung von Edelmetallen ein wichtiger Bestandteil der Rohstoffwende. Dazu gehört die Aufbereitung von Brennstoffzellen oder von Photovoltaikanlagen. Das wird zwar erst in den nächsten Jahrzehnten eine wesentliche Rolle spielen, aber das “End of life” sollte möglichst schon bei der Entwicklung der Anlagen berücksichtigt werden. Die Technologien müssen zur Verfügung stellen, wenn diese Fragestellung akut wird.

Besteht in der starken Fokussierung auch ein Risiko? Was forschen Sie, wenn die Energiewende gelöst ist?

Bloh: Bei allem Optimismus denke ich nicht, dass die Energiewende in den nächsten fünf Jahren abgeschlossen ist – das wird uns bis in die 2040er Jahre beschäftigen.

Galetz: Außerdem sind wir breit aufgestellt; das ist für ein Forschungsinstitut unserer Größe zwar auch immer eine Herausforderung, bietet aber andererseits die Sicherheit, dass wir nicht nur von einem Trend abhängig sind. Wir können flexibel auf Anforderungen aus der Forschungsförderung oder der Industrie reagieren.

Die Bioverfahrenstechnik ist in der neuen Struktur dem Bereich Chemische Technik zugeordnet. Welche Rolle wird Biotechnologie und Bioverfahrenstechnik zukünftig am DECHEMA-Forschungsinstitut spielen?

Bloh: Wir sehen den großen Vorteil der Biotechnologie darin, dass man komplexere chemische Produkte erzeugen kann, die mit chemischen oder elektrochemischen Verfahren häufig mehrere Prozessschritte erfordern. Außerdem lässt sie sich sehr gut mit elektrochemischen und vielleicht auch photokatalytischen Prozessen kombinieren. So kann man im ersten Schritt aus Sonnenenergie oder Strom und CO2 einen einfachen Baustein erzeugen, den man dann biotechnologisch zu komplexeren Molekülen weiterverarbeiten kann.

Diese Integration wollen wir weiter nutzen und ausbauen - auch hier getreu dem Motto: Interdisziplinäre Zusammenarbeit ist Trumpf. Als relativ kleines Institut können wir nicht alle Aspekte der Biotechnologie abbilden, aber gerade im Bereich der Biologisierung chemischer Prozesse und der Kombination der Technologien sehen wir nach wie vor großes Potenzial.

Welche Rolle spielen Kooperationen für das DECHEMA-Forschungsinstitut?

Galetz: Das ist ein sehr breites Spektrum. Wir arbeiten mit KMUs hier in Hessen quasi “um die Ecke”, für die wir ganz spezifische Fragen bearbeiten und die selbst keine Forschungs- oder Fachabteilungen haben. Wir betreiben aber auch Auftragsforschung für die “ganz Großen”, die unsere Fachexpertise zu schätzen wissen.

In Projekten und EU-Verbünden kooperieren wir mit nationalen und internationalen Unternehmen, aber natürlich auch anderen Forschungseinrichtungen. Wir bringen hier unser Fachwissen ein, weil wir gerade im Werkstoffbereich ein Know-How mitbringen, das europaweit sonst praktisch nicht vorhanden ist. Und es gibt natürlich auch Kooperationen über Europa hinaus.

Suchen Sie über die bestehenden Netzwerke hinaus weitere Kooperationspartner?

Bloh: Wir suchen permanent nach neuen Partnern, sowohl für öffentliche Forschungsvorhaben als auch zum wissenschaftlichen Austausch mit anderen Forschungseinrichtungen und Universitäten. Wir stehen aber auch jederzeit als Dienstleister für die Industrie zur Verfügung, um gemeinsam die Herausforderungen der Zukunft zu bearbeiten. In den letzten Jahren kommen immer mehr Anfragen aus dem europäischen Ausland – man merkt auch daran, dass Europa zusammenwächst und die Firmen zunehmend international denken.

Was bieten Sie Ihren Partnern und Kunden?

Galetz: Wir sind zwar klein, aber haben beispielsweise im Bereich der Hochtemperaturkorrosion eine Expertise, die weltweit herausragend ist. Diese Gruppe mit 20 Leuten bringt ein Spezialwissen mit, das sonst nirgendwo zu finden ist. Wir arbeiten weniger an systemischen Fragen, aber gerade in Forschungsverbünden oder als Projektpartner für große Firmen sind wir für spezifische Detailfragen gern gesehene Partner. Wir können die Hilfestellung geben, die darüber entscheidet, ob die Anlage 5 oder 20 Jahre hält - und damit, ob sich die Investition lohnt.

Bloh: Wir können nicht alles, aber was wir können, können wir sehr gut. Unsere besonderen Stärken sind die enge Zusammenarbeit unterschiedlichster Fachrichtungen und eine große Flexibilität - wir können schnell und sehr individuell agieren.

Wie können DECHEMA, DECHEMA Ausstellungs-GmbH und DECHEMA-Forschungsinstitut zukünftig voneinander profitieren?

Galetz: Nehmen wir nochmal das Beispiel Wasserstoff: Wir haben in der DECHEMA über die drei Einheiten hinweg ein Angebot, das in Deutschland so einmalig ist. Wir können vom DECHEMA-Forschungsinstitut in Werkstofffragen beraten, wir können bei der Auswahl der Elektrolyseur-Technologie und der Komponenten unterstützen. Der DECHEMA e.V. bringt seine Expertise bei der Technologiebewertung, Lebenszyklusanalysen und Erstellung von Roadmaps mit ein. Und auf der ACHEMA wird die Wasserstoffwirtschaft eine wesentliche Rolle spielen. Und über unsere verschiedenen Perspektiven bringen wir alle Kontakte ein, die letztlich ein sehr großes und vielfältiges Netzwerk bilden – auch das gibt es in dieser Form nirgendwo sonst.

Eine gekürzte Fassung des Interviews ist in der aktuelle Ausgabe der "DECHEMA aktuell" (08/2021) erschienen.

Bild (von links): PD Dr.-Ing Mathias Galetz, Vorstandsvorsitzender DECHEMA-Forschungsinstitut und PD Dr. Jonathan Bloh, Vorstand DECHEMA-Forschungsinstitut © DECHEMA-Forschungsinstitut (DFI)

Aktuelle Kurse

Zuse-Mitgliedschaft

Jetzt Stifter werden